„Ulrich Greb nimmt sich Zeit, um Shakespeares Tragödie um Liebe, Eifersucht und Gewalt aufzurollen. Und er nimmt sich Zeit, um in seiner Inszenierung das selbst auferlegte Spielzeitthema „All inclusive“ aus dem Klassiker fein säuberlich herauszusezieren: die Inklusion, wobei er den „ersten Moerser Othello“ mehr als ein Beispiel für die misslungene Integration interpretiert. (…) Regisseur Ulrich Greb macht aus seinem tragischen Helden keinen Schwarzen, grenzt dessen Herkunft nicht ein. Im Gegenteil. Er macht das andere Figurenpersonal weißer. Immer wieder lässt er es tief in den Pudertopf greifen. Zuweilen wirkt die Bepuderung wie eine zwanghafte Selbstläuterung. Mit seiner rosigen Gesichtshaut, die nach dem Kampfeinsatz schwarz beschmiert ist, wirkt Othello einzig lebendig. Venedigs feine Gesellschaft, in historischen Gewändern und mit riesigen Halskrausen gekleidet, degradiert der Moerser Regisseur zu austauschbaren Karikaturen. Schauspieler Matthias Heße ist zum Beispiel ein genauso guter Cassio wie Brabantio. Die Inszenierung ist puristisch, das Bühnenbild im Moerser Schloss karg. Der Fokus liegt hier auf Sprache und die Körperlichkeit. Beides drängt sich besonders auf, weil Ulrich Greb in die Bühne eine Kiste hat bauen lassen, in denen die Schauspieler kaum noch stehen können. Die Figuren sind in der Enge des steril-weißen Raums einander ausgeliefert.“ Rheinische Post
„Es ist eine ziemlich staubige Angelegenheit, dieser Moerser Othello, aber keineswegs eine verstaubte, schon gar nicht staubtrocken. Denn das Shakespeare-Stück um das Anderssein, um das Fremde hat natürlich Bezug zur Gegenwart. Wenngleich Intendant Ulrich Greb seinen Othello (Werner Strenger) nicht schwarz anmalt. Die anderen Figuren werden mit jeder Menge Theaterpuder, ständig neu aufgetragen aus riesigen Frittenbuden-Salzstreuern, weißer als weiß gemacht. Die reine Unschuld?
Mit Othello startet das Moerser Schlosstheater in die neue Spielzeit, in der es unter dem Titel „All inclusive“ das Thema Inklusion in all seinen Facetten beleuchten will. Greb legt den Klassiker nicht als reine Tragödie an. Er inszeniert ihn gleichermaßen feinsinnig, bedrohlich wie krachend-saftig. Es gibt einige Momente, die die große, sich immer wieder druckvoll aufbauende Anspannung auflösen. Mit einer klamaukhaften Jagd nach dem ominösen Taschentuch etwa.
Und wenn sich Jago, Cassio und Rodrigo gemeinsam betrinken und zotige bis rassistische Stammtisch- Parolen reißen, hat das was durchaus Komödiantisches. Der Running Gag des Abends ist, wie der arme Rodrigo (ein wunderbar naiver Geck: Patrick Dollas) immer wieder in seine Neben-Nebenrolle abserviert wird: „Und wer sind Sie?“ „Mein Name ist Rodrigo.“ „Umso weniger willkommen!“ Dies findet seinen Höhepunkt im letzten Satz des dreistündigen Theaterabends. Othello richtet sich nicht selbst, sondern Rodrigo setzt sich neben ihn und fragt: „Und wer sind Sie?“
Ja, wer ist er eigentlich, dieser Othello in der Moerser Version? Bei Greb ist Othello weniger der Fremde, als vielmehr die anderen die Fremdelnden. Ein großartiger Werner Strenger spielt ihn machohaft, testosterongesteuert, breitbeinig, sonnenbebrillt, in abgeschabten Lederhosen, Springerstiefeln und Tarnjacke. Ein Soldat. Ein grober, rabaukiger Typ – selbst bei den Originaltext-Passagen – mit weichem Kern und der Fähigkeit zu echter Liebe. Ein bisschen Schimanski auf klassisch.
Diese Liebe stößt allerdings an ihre Grenzen, sobald Desdemona (herausragend ausbalanciert: Marieke Kriegel) zickiger und ungehorsamer wird, geschweige denn, als die böse Saat des Jago (Frank Wickermann) aufgeht und Othello an ihre Untreue glaubt. Desdemona stirbt in Moers einen sehr langsamen Tod über die Pause hinaus. Kein Gericht dieser Welt würde das als Affekt durchgehen lassen. Sie hat sogar noch Zeit, im engen Guckkasten (Bühnenbild: Birgit Angele) für sich selbst ein Blumenmeer auszulegen und Kerzen aufzustellen, es tanzt der Bi-Ba-Butzemann.
Im Theaterblut rutschen die Schauspieler mehrfach aus, als sie sich nach einer hochkonzentrierten Vorstellung viele „Vorhänge“ abholen dürfen und einige stehende Ovationen bekommen. Nein, dieser Othello ist keineswegs eine Bauchlandung.“ WAZ