Die Aufführung bleibt nah an Sontags Roman, spiegelt das Kafkaeske und Surreale, das Diskursive und das Direkte, auch die kurzen, ironischen Genrezitate. Wie immer in Moers tragen herausragende Schauspieler den Abend. Frank Wickermann zeigt Diddy als eher mittelmäßigen Jedermann, ein verzweifelter Held wider Willen. Während Marieke Kregel als blinde Hester oft beherrscht bleibt, es aber unter dieser Oberfläche rätselhaft brodeln lässt. Die zwei pausenlosen Stunden sind forderndes, manchmal auch anstrengendes Theater. Aber es lohnt sich, den Gedankenspielen zu folgen, weil sie durch Grebs Regie und das tolle Ensemble Körperlichkeit und Sinnlichkeit erhalten.
(Stefan Keim, Die Deutsche Bühne)
Ein Abend, der es mit den Fragen nach Tod und Leben, nach Verantwortlichkeit für das eigene Erleben aufnimmt und sich gelungen in die Projektreihe „überGehen“ des Schlosstheaters zur vertuschten Allgegenwärtigkeit des Todes einreiht.
(Frederike Jacob, Theater der Zeit)
Intendant Ulrich Greb hat den 400 Seiten-Text der New Yorkerin bearbeitet und inszeniert, herausgekommen ist eine furchterregende Achterbahnfahrt durch die Psyche des Menschen in sechs Szenen. Greb inszeniert die Essenz eines Romans, der selbst schon als surreale Matrize für die Tatsachenbehauptung des Dinglichen um uns herum dient. In Moers geht es nur noch um die Verhandlung des Tatsächlichen jenseits der Realität, es geht um den Tod, die Spekulation des Folgenden, aber erst einmal um den Schwebezustand zwischen dem Hier und Dort. Im kleinen Theater mit seinen ausgezeichneten Schauspielern findet Greb Bilder, die an Charles Wilps Afri-Cola-Werbung erinnern, die in genau der Zeit entstanden wie Susan Sontags Roman. Auch hier wird das Rauschhafte zur Metapher von nicht greifbarer Bedeutung. Am Ende ist niemand auf der sicheren Seite, nicht die Protagonisten, nicht einmal die Zuschauer. Die Inszenierung schon gar nicht, und genau das hat Regisseur Greb so geplant, denn „Diddy geht weiter“.
(Peter Ortmann, Trailer)
Eine hochkonzentrierte und in ihrer Verlangsamung bestechende Ensemblearbeit mit zerfließenden Figurengrenzen. Nichts ist, wie es zunächst scheint.
(Ariane Schön, Coolibri)
Es gibt sechs verschiedene Wirklichkeiten, die Birgit Angele in ihrem genialen Bühnenbild versinnbildlicht, indem sie den Raum durch transparente Gardinen in sechs Abteile abgrenzt. Durch die man gucken kann, greifen kann, sie verschieben kann und öffnen. Und dann sind da noch die Projektionen der Videokameras aus den sechs Abteilen, die auf die Gardinen gebeamt werden, sich überlagern, verschwimmen, verschwinden. Mit anderen Worten: der Zuschauer ist in diesen kurzweiligen zwei Stunden schon mal allein mit dem Sehen bestens beschäftigt. Auf der Bühne präsentiert sich ein putzmunteres Schlosstheater-Ensemble mit furchtbaren Siebziger-Jahre-Perücken, diesmal mit einem weniger kraftvollen, sondern einem ganz fein nuancierten Spiel. Kaum zu glauben, wie filmreif romantisch sich so ein Frank Wickermann in der Hauptrolle des verliebten Diddy Harron auch anhören kann. Dabei gönnt Ulrich Greb dem Publikum mit dem Gastschauspieler Jakob Schneider eine wunderbare Entdeckung. Dieser spielt die Frauenrolle der omnipräsenten Tante Jessie so gänzlich unalbern. Und der ganz kurz diesen irren Blick am Rande zum Wahnsinn aufflackern lässt und so gut beherrscht, dass man unweigerlich an Kinski denken muss. Ein großartiger, prallvoller Theaterabend im Rahmen der Projektreihe „überGehen“ mit einer Vielzahl von spannenden Erkenntnissen, die am Ende – ein Nichts ergeben. Und das ist ja auch etwas.
(Karen Kliem, NRZ)
Grebs Theater ist sich seiner Mittel bewusst. Es fährt faszinierende Bilder auf, ist komisch, manchmal auch tiefernst und lässt die zwei Stunden Aufführungsdauer ohne Durchhänger vorübergehen.
(Guido Rademachers, www.nachtkritik.de)
Gelungen ist sowohl eine spannende theatrale Umsetzung des intellektuell-experimentellen Romans als auch eine überzeugende Eingliederung dieser Geschichte in den Kontext des ambitionierten Moerser Projekts „überGehen“. Nie weiß der Zuschauer genau, ob er sich in einer realen oder einer eingebildeten Welt, im Leben oder in einem Übergangsstadium zum Tod befindet.
Assoziationen, Metaphern allenthalben – und viel Rätselhaftes: wie im Roman und doch entschieden weniger als dort, denn den Roman hat Ulrich Greb als Autor der Bühnenfassung radikal gekürzt. Übrig geblieben sind das Handlungsgerüst, neben wenigen Dialogen eine große Zahl erzählerischer Passagen und ein paar reflexive Überlegungen. Aktionen werden meist nur angedeutet. Das könnte ausgesprochen anstrengend werden, doch gelingt es den großartigen Moerser Schauspielern, allein mit ihrer suggestiven Sprache und der Intensität ihrer Beschreibungen Spannung zu erzeugen. Vor allem aber zeichnet sich die Aufführung durch Einfühlsamkeit und Poesie aus: Selten sahen wir den sonst so kraftvollen, in anderen Aufführungen oft lautstark und temperamentvoll agierenden Frank Wickermann so zart und sensibel wie hier als „Diddy“ Harron, der permanenten seelischen Schwankungen ausgesetzt ist; selten war Marieke Kregel so intensiv und sinnlich (und manchmal rätselhaft!) wie hier als Hester. Im Verein mit dem perfekten Einsatz von Musik und Licht halten uns die Schauspieler in dieser bei Schauspielern und Zuschauern hohe Konzentration erfordernden Aufführung zwei Stunden lang gefangen. Das Mikro- oder Teleskop, das Susan Sontag und Ulrich Greb auf die Welt von Dalton und Hester gerichtet haben, zeigt auf faszinierende Weise die Uneindeutigkeit unserer Seelenlandschaften und unserer Wahrnehmungen.
(Dietmar Zimmermann, www.theaterpur.net)
„Ulrich Greb greift geschickt die Erzählformen des Romans auf und gibt seiner Inszenierung damit eine intensive Spannung. Die Schauspieler sind Chronisten einer glücklosen Lebensreise, wobei offenbleibt, was Traum und Wirklichkeit ist. Sie kommentieren, blicken voraus und zurück, drängen aus dem Bewusstsein Harrons heraus, bevor er sich selbst zu Wort meldet. Ulrich Greb treibt das Spiel auf die Spitze, so dass alle beinahe synchron Diddys Gedanken preisgeben.“
(Anja Katzke, RP)
Ulrich Greb vermeidet klug jeden Realismus und lässt sich in der theatralischen Umsetzung von Sontags Theorien leiten. So wird der Text nie mit Bedeutung aufgeladen, sondern es werden ihm Haltungen entgegen gesetzt. Oder er wird einfach gesprochen, oft mit großer Schönheit. Die bewegten, von den Schauspielern mit den Kameras live produzierten Bilder folgen Prinzipien der Fotografie. Durch genaues Untersuchen der Oberfläche dringen sie in diese ein, objektivieren scheinbar die subjektive Sinnlichkeit, sei es als Ausschnittvergrößerung oder Überblendung von Händen, Augen oder totem Material.
Im Lauf des gut zweistündigen, pausenlosen Abends wandelt sich das Sprechoratorium zum Spiel der Körper. Die Projektionen werden – wörtlich – in die Ecke gedrängt. Die Tische verschwinden im symmetrischen Labyrinth bewegter Vorhänge. „Entfremdung“ heißt das Zauberwort. Wenn es keine gemeinsamen Wahrheiten und/oder Wirklichkeiten gibt, wenn Erfahrungen per se nicht teilbar sind, ist der Mensch fürchterlich allein. Umgeben vom Rauschen der Bilder, mit Sichtlinien, die sich ständig verändern, stirbt er, mit der Verarbeitung überfordert, ab, geistig und emotional. Greb und sein vorzügliches Ensemble visualisieren das in alptraumhaft sachlichen Bildern und Klängen.
Am Ende ist der Raum ganz ausgeleert, gefüllt nur noch von den Körpern der Schauspieler, die immer näher zusammen rücken, sich etwa in einem berührenden Bild in einer Linie aneinander klammern, eine Polonaise der Zärtlichkeit. Besonders Frank Wickermann als Diddy und Jakob Schneider in der „Rockrolle“ als Hesters Tante setzen Sontags Gedanken spürbar eigene Widerstände entgegen und bringen so ihre Texte zur – manchmal auch komischen – Explosion. Mit bestechender ästhetischer Konsequenz und künstlerischer Konzentration ist in Moers eine dringliche, Susan Sontags Ideen und Ansichten produktiv und phantasievoll verarbeitende Aufführung gelungen.“
(Andreas Falentin, Die Deutsche Bühne)
Eine Rezension des WDR3 ist hier zu hören.
Eine Rezension des Deutschlandradios ist hier zu hören.